
Krypto-Experte Markus Abbassi über das Krisenjahr 2022: "Man darf nicht vergessen: Wir befinden uns noch in einer frühen Innovationsphase"
2022 war ein turbulentes Jahr für dezentrale und zentrale Finanzen (DeFi & CeFi): Was haben wir gelernt? Und was wird als Nächstes passieren? Markus Abbassi, Leiter Digitale Assets bei der Kaleido Privatbank AG, war unser Gast im letzten Livestream von 2022.
Nehmen Interesse und Vertrauen in Kryptowährungen ab? "Nein", sagt Markus Abbassi im Gespräch mit Kuble-Partner Christian Aichhorn. "Die Kunden, die schon länger dabei sind, bleiben ruhig und investieren weiter. Es ist jedoch schwieriger geworden, neue Kunden von digitalen Assets zu überzeugen."
Die Finanzbranche hat ein turbulentes Jahr hinter sich: Es gab Insolvenzen, Krisen und Verluste in Millionenhöhe. Zentralisierte Finanzen (CeFi) und dezentrale Finanzen (DeFi) waren gleichermassen betroffen. Doch was sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Begriffen?
Die Blockchain funktioniert einwandfrei
Die entscheidende Frage ist: "Wem vertraue ich die Verwaltung meiner Finanzen an? Wenn ich zu einer Bank gehe, vertraue ich darauf, dass sie als Buchhalter korrekt arbeitet. Wenn ich also 100 Franken bei der Bank einzahle, vertraue ich darauf, dass ich mindestens 100 Franken plus Zinsen zurückbekomme." Das, so sagt er, sei die zentrale Finanzindustrie. "Bei DeFi dagegen vertraue ich nicht einer zentralen Gegenpartei, sondern der Blockchain." Das ist DeFi's Alleinstellungsmerkmal: "Ich muss nicht mehr über eine Bank gehen, ich kann alles selbst erledigen."
Der Dominoeffekt begann in diesem Jahr mit dem Untergang von Terra Luna, sagt Abbassi. "Das war ein Stablecoin, der auf einem mathematischen Algorithmus basierte. Es war das einzige rein dezentrale Projekt, das in diesem Jahr scheiterte. Dennoch hatte es eine Kettenreaktion zur Folge." Er sagt jedoch, dass es weiterhin vorkommen werde, dass bestimmte Anbieter, insbesondere kleinere, ausfallen: "Wir befinden uns immer noch in einer frühen Innovationsphase. Risiken werden von vielen nicht richtig oder unzureichend gemanagt."
Interessant ist jedoch, dass die Technologie immer einwandfrei funktioniert hat: "Die Blockchain lief reibungslos, wie ein Schweizer Uhrwerk. Die Missgeschicke, die geschahen, waren das Ergebnis von falschem Management oder mangelndem Know-how." Besonders bemerkenswert ist, dass die Umstellung von Ethereum von Proof of Work auf Proof of Stake reibungslos verlief: "Es war wie der Austausch einer Flugzeugturbine während des Fluges."
Wird es irgendwann keine Banken mehr brauchen?
"Ja, ich bin ein grosser Befürworter von DeFi", gibt Abbassi unverblümt zu. "Das Modell bietet eine unglaubliche Anzahl neuer, innovativer Produkte und Möglichkeiten. Aber die Banken werden dadurch nicht obsolet." Es gibt viele Stimmen, die sagen, Bitcoin sei tot: "Aber das, was wir täglich in unseren Gesprächen mit unseren Kunden sehen, zeigt das Gegenteil: Immer mehr Menschen interessieren sich dafür."
Dennoch leugnet Abbassi nicht, dass die Branche in diesem Jahr einen Vertrauensverlust erlitten hat. Sind Kryptos wie pubertierende Teenager, die sich überschätzen? Was wird es brauchen, damit die Branche erwachsen wird? "Vor vier Jahren war es ein Kind", sagt Abbassi, "jetzt befinden wir uns in einer Phase des Erwachsenwerdens." Etablierte Unternehmen und Institutionen, die sich jetzt engagieren, werden dafür sorgen, dass der Teenager mit gesetzlichen Anforderungen und Vorschriften gezügelt wird.
Bisher hat die Schweiz einen guten Weg gefunden, sagt Abbassi: "Das Land hat eine technologie-neutrale Sichtweise. Das ist gut. Anders als in Deutschland ist es in der Schweiz beispielsweise möglich, Aktien zu tokenisieren." Leider verfolgt die EU einen anderen Ansatz bei der Regulierung der Kryptoindustrie: "Neuen Wein in alte Schläuche zu giessen, ist nicht hilfreich."
"Ich bin zuversichtlich"
Und was passiert jetzt? Wird sich der Kryptomarkt von diesem Krisenjahr erholen oder wird der Dominoeffekt anhalten? "Die Frage ist, was dieser Dominoeffekt ist", sagt Abbassi. "Ist es der Bitcoin-Preis, der weiter fällt? Oder ist es die Tatsache, dass mehr Unternehmen pleitegehen?" Im zweiten Fall wird die Kettenreaktion wahrscheinlich anhalten, sagt er.
"Aber was die Preise betrifft, glaube ich nicht, dass es viel weiter bergab geht. Aufgrund des relativ illiquiden Marktes kann es durchaus sein, dass die Preise volatil bleiben. Aber da Blockchain sehr innovativ ist und sich weiterentwickelt, sollten wir das grösste Weglaufen nach unten hinter uns haben. Ich bin zuversichtlich."
Über ihn: Markus Abbassi ist Unternehmer mit Fokus auf digitale Assets und Innovation. Nach der Mitgründung von Alethena baute er das Tokenisierungs-Geschäft bei Sygnum, der weltweit ersten digitalen Asset-Bank, auf. Seit Februar 2022 baut er das Thema Digitale Assets bei der Kaleido Privatbank als Leiter Digital Asset auf.
Hinweis: Dieser Artikel und der Live Talk stellen keine Finanzberatung dar. Wenn du in Kryptowährungen investierst, sei dir der Risiken bewusst oder kontaktiere einen Experten.